Seit einem Jahr bestimmt die Pandemie das Leben der Menschen in Niedersachsen. Zu Beginn gab es wenig Wissen darüber, wie sich das Virus verbreitet und wie man sich schützen kann. Inzwischen haben wir viele Erfahrungen gemacht, die uns in die Lage versetzen, differenzierter auf die Bedrohung zu reagieren. Neben der Erkenntnis, dass Abstands- und Hygieneregeln helfen, das Virus einzudämmen, gibt es inzwischen mehrere Impfstoffe sowie erste Therapiemöglichkeiten und Erfahrungen mit Schwererkrankten Menschen. Zudem sind wir mit ausreichend Schutzmaterial wie Masken, Desinfektionsmitteln etc. versorgt. Die Impfung vulnerabler Gruppen schreitet weiter voran, so dass davon auszugehen ist, dass auch unser Gesundheitswesen zunehmend entlastet werden kann. Ferner wird die Anzahl von Schnelltests in Kürze ein ausreichendes Maß erreicht haben, um regelmäßig Angebote an die Menschen machen zu können.
All diese Maßnahmen und Entwicklungen führen dazu, dass wir uns heute in einer gänzlich anderen Situation befinden als vor einem Jahr. Daher ist es konsequent, nun differenzierter die Maßnahmen zu betrachten, die unser Leben seit einem Jahr massiv einschränken. Bisher hat die pandemische Entwicklung einen härteren Lockdown in Niedersachsen zum Schutz von Menschenleben und der möglichen Überforderung unseres Gesundheitssystems notwendig gemacht. Den Menschen in Niedersachsen sollte allerdings ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie eine klare Orientierung angeboten werden, wie wir in dieser dennoch öffentliches Leben ermöglichen können. Dazu bedarf es eines Paradigmenwechsels: vom Verbot zum Konzept!
Unter Einbeziehung einer 4-Säulen-Strategie zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus gilt es einen perspektivischen Ausweg aus der Strategie des „Social Distancing“ zum „Smart Distancing“ beschreiten zu können. Neben bereits bewährten (1) Abstands- und Hygieneregelungen, sehen wir in einer (2) umfassenden Schnelltest- und digitalen Trackingstrategie, einer (3) Beschleunigung der laufenden Impfkampagne sowie einer (4) ergänzenden medikamentösen Therapie Bausteine für eine verlässliche Perspektive, die gesellschaftliches Leben wieder ermöglichen könnte. Ein entschiedenes, koordiniertes Handeln zur Umsetzung dieser 4-Säulen-Strategie könnte künftig wirtschaftliche Lockerungen ermöglichen und somit weiteren gesellschaftlichen Schaden begrenzen. Unabdingbar für diese Strategie stellt dabei die ausreichende Verfügbarkeit von Schnelltests und eine flächendeckende Nutzung moderner Kommunikations- und Datenverarbeitungstechniken, wie z. B. bei der Corona-Warn-App dar.
Folgende Punkte sind hierbei von besonderer Bedeutung:
Gesellschaftliches Leben durch umfassende Schnelltest- und digitale Trackingstrategie ermöglichen
- klare Perspektive für Wirtschaft & Einzelhandel: durch die neuen Möglichkeiten von Schnelltests und Testinfrastruktur sowie digitaler Trackingstrategie zeitnah schaffen. Nicht nur für die großen Städte, sondern auch für die kleineren Innenstädte muss ein Modellversuch stattfinden, schließlich sind hier die Herausforderungen abweichend.
- Industriewirtschaft stärker in die Verantwortung nehmen: eine wöchentliche Testpflicht aller noch nicht geimpften Mitarbeiter*innen durch den Arbeitgeber ist festzulegen. Hierbei sind Arbeitgeber mit eigener Betriebsarztstruktur stärker in die Mitverantwortung zu nehmen.
- Gastronomie zeitnahe Perspektive aufzeigen: der Aufenthalt in der Gastronomie mit Test- und Hygienekonzept ist sicherer, als wenn die Menschen auf Plätzen, Parkbänken, Wiesen, oder zu Hause zusammentreffen soll in einem ersten Schritt ist mindestens die Außengastronomie ermöglicht werden.
- Tourismus in Niedersachsen zu Ostern ermöglichen: Vermietung von Ferienwohnungen/-häusern für Hausstände (bzw. den erlaubten Kontakten) mit Hygienekonzept sollten zeitnah ermöglicht werden, um den Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Destinationen zu vermeiden. Auch weil private Ferienhausvermietungen i. d. R. keine Zugangsmöglichkeiten zu Wirtschaftshilfen haben sind hier zeitnahe echte Perspektiven zu schaffen. Diese können bspw. durch verbindliche Testungen bei An- und Abreise flankiert werden. Öffnung von Hotellerie mit Belegungsquote, Testkonzept bzw. Impfnachweis und Mindestaufenthaltsdauer sind ebenfalls zu berücksichtigen.
Verantwortung übernehmen – Entwicklung von Covid-19 Medikamenten unterstützen
Impfstoffe können infizierten Patienten nicht helfen, dazu bedarf es spezifisch gegen Covid-19 gerichteter Medikamente, die als elementare Bausteine einer verlässlichen Perspektive des 4-Säulen-Konzept angesehen werden müssen. So ist der von der Braunschweiger Corat Therapeutics entwickelte menschlicher Antikörper COR-101 speziell für diese Anwendung entwickelt, und so konzipiert, dass er auch hospitalisierten Patienten helfen kann. Die bis dato sehr schnell umgesetzte Finanzierung mit Hilfe der NBank und Investoren ermöglichte die dringend notwendigen nächsten Schritte in Richtung Marktversorgung und weiterer klinischer Entwicklung. Um keine Zeitverzögerung zu riskieren, gilt es auch, perspektivisch Verantwortung zu übernehmen und die Entwicklung von Covid-19 Medikamenten auskömmlich zu unterstützen.
Exkurs – Besondere Berücksichtigung
Perpektiven für die vom Lockdown betroffenen Ausbildungsbranchen schaffen
- Die Coronakrise darf nicht zu einer Krise für die berufliche Zukunft junger Menschen werden (z.B. Köche, Hotelerie, etc). Basierend auf den bereits vorhandenen Instrumenten zum Erhalt und zur Sicherung von Ausbildungsplätzen, müssen wir noch stärker die von der Pandemie besonders bedtroffenen Branchen wie Gastronomie und Einzelhandel stützen, damit auch dort alle Ausbildungsplätze erhalten bleiben und somit Ausbildungen fortgesetzt und erfolgreich abgeschlossen werden können.
Gesonderte Betrachtung der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen
- Die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen unterscheidet sich von der Lebenswelt von Erwachsenen. Daher sollte bei den Verordnungen – vor dem Hintergrund das Kinder und Jugendliche keine Infektionstreiber sind – berücksichtigt werden, dass Lockerungen auch für diese Gruppe möglich sein müssen. Dazu gehören insbesondere Freizeitmöglichkeiten zu schaffen und Wege aufzuzeigen, wie Treffen von mehreren Personen möglich gemacht werden können (z.B. durch Tests).
Akzeptanz bei der Bevölkerung erhöhen
Nachvollziehbare und bürgerfreundliche Verordnung
- Die aktuelle Corona-Verordnung sollte wieder vereinfacht werden. Nur wenn sie von durchschnittlich rechtskundigen Bürgerinnen und Bürgern verstanden werden kann, werden die Maßnahmen der Landesregierung wieder an Akzeptanz hinzugewinnen.
Zur besseren Verständlichkeit (Rechtsklarheit) der VO und Transparenz sind Hinweise und komplizierte Querverweise auf frühere Fassungen (wie derzeit in § 18a bei den Hochinzidenzkommunen) zu vermeiden. Was in Niedersachsen derzeit an Corona-Regeln gilt, muss in dem einem (!) VO-Dokument deutlich werden. Um Klarheit zu schaffen, sollte in der Verordnung beschrieben ist, was gerade nicht möglich ist.
Kontaktregeln der Lebenswirklichkeit anpassen
- Die ein Haushalt + eine Person-Regel, die für Hochinzidenzkommunen nach § 18a Abs. 3 Nr. 1 immer noch gilt, ist nicht zielführend, da viele Menschen diese schlichtweg nicht einhalten. Dies führt zu einer gesellschaftlicheren Spaltung zwischen denen, die sich daranhalten und denen die sich darüber hinwegsetzen und die Infektionsdynamik weiter anheizen. Als klare Orientierung scheint hier die 5-Personen-Regel lebensnäher und zielführender zu sein.
- Ein ausschließlich Inzidenz- und R-Wert-basierter Stufenplan, wie er als Entwurf vorlag, greift mitunter zu kurz. Hier sollten auch die Krankenhauskapazitäten hinzugezogen werden. Wenn möglich, ist hierbei die Entwicklung der Infektionsfälle und der Krankenhauskapazitäten in Abhängigkeit der bereits durchgeführten Impfungen von vulnerablen Gruppen darzustellen. Zudem sollten Kinder und Jugendliche und deren Lebenswelt berücksichtigt und klar benannt werden.
Harmonisierung der nds. Verordnung mit Nachbarländern und Bundesvorgaben
- Abweichungen von den Beschlüssen der MPK auf Bundesebene sollten vermieden werden, da sie potenziell Verwirrung stiften und die Unzufriedenheit von Bürgerinnen und Bürgern mit der Landesregierung erhöhen.
Bei Abweichungen angrenzender Länder bezüglich Handel, Gastronomie, Wirtschaft etc. sollten Anpassungen an die Abweichungen zügig nachvollzogen werden. Hiermit soll dem Einkaufstourismus unbedingt vorgebeugt werden.